Der Kulturkreis Wasserburg – die Vereinigung der Kunst- und Kulturschaffenden in der Stadt – ist noch bis kommenden Mittwoch mit einem außergewöhnlichen Stand auf dem Wasserburger Christkindlmarkt vertreten (wir berichteten). Das Theater Wasserburg, das Kino Utopia und der Theaterkreis zeigen in der Salzsenderzeile Fotos von AK68-Fotografin Tamara Crimmann. Die Kulturreferentin der Stadt, Edith Stürmlinger, und Hassan Echcharif aus Pfaffing haben dazu Flüchtlinge, die derzeit in der Stadt untergebracht sind, interviewt und nach ihren Schicksalen befragt. Hier einige Bilder und Interviews, die man auch am Stand des Kulturkreises sehen und abhören kann …
„Texte und Bilder wurden anonymisiert, damit sich niemand vorgeführt fühlen muss. Die eindrucksvollen Bilder von Tamara Crimmann und die Geschichten geben einen tiefen Einblick in die Schicksale der Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien. Unser Projekt hat keinen Namen, es erklärt sich aus sich selbst. Die Bilder gehören nicht zu den Texten, sie stehen für sich alleine”, so die Kulturkreis-Verantwortlichen.
Hier drei der Lebensgeschichten von Menschen, die derzeit in Wasserburg gestrandet sind:
Interview 1
Mein Name ist Abdullah, ich bin 45 Jahre alt und war mein Leben lang Handwerker in Mossul. Mossul – das ist eine große Stadt im Norden des Irak am rechten Ufer des Tigris, rund 350 Kilometer nördlich von Bagdad. Sie ist mit rund 2,9 Millionen Einwohnern nach Bagdad die zweitgrößte Stadt des Landes. Mossul ist die Hauptstadt der Provinz Ninawa und gehört zu den umkämpften Gebieten zwischen der Autonomen Region Kurdistan und dem Irak. Meine Heimatstadt wurde im Juni 2014 von Kämpfern des Islamischen Staats erobert und gehört seitdem zum Machtbereich dieser terroristischen Organisation.
Ich bin mit meiner Frau und meinen drei Söhnen, sie sind 15, 20 und 23 Jahre alt, nach Wasserburg gekommen, weil wir vor dem Islamischen Staat flüchten mussten. Auslöser für unsere Flucht war der Tag, an dem meine Eltern von den Terroristen verprügelt und gefoltert wurden. Die Männer drohten auch uns – und sagten, sie würden auf jeden Fall wiederkommen.
Unsere Flucht führte uns über die Türkei nach Griechenland und schließlich auf die lange Reise entlang der Balkanroute. Dabei ist uns besonders die schlechte Behandlung durch die Polizei in den Balkanländern in Erinnerung geblieben. Aber es gab auch viele positive Erlebnisse. Wir stießen bei vielen Menschen entlang unserer Fluchtroute auf große Hilfsbereitschaft. Völlig Fremde unterstützen uns durch ihre Freundlichkeit, durch gutes Zureden und halfen uns immer wieder auch materiell.
Von Deutschland erwarten wir uns, dass wir hier endlich in Frieden und Sicherheit leben können und wir hoffen, echte Chance zu bekommen, uns zu integrieren. Dazu zu gehören, das ist unser größter Wunsch. Wir hoffen sehr, länger in Deutschland bleiben können und nicht nach Bulgarien, wo man uns zwangsweise registriert hat, abgeschoben zu werden. In den Irak wollen wir in naher Zukunft nicht zurückkehren – das Leben dort ist für uns einfach unerträglich.
Interview 2
Wir sind Kassim und Mohammed aus Homs in Syrien. Wir sind Brüder und 14 beziehungsweise 23 Jahre alt. Wir gehören in unserer Heimat der größten Glaubensgemeinschaft der Moslems, den Sunniten, an. Vor dem Krieg gingen ging ich, Mohammed, zur Schule, und ich, Kassim, habe eine abgeschlossene Berufsausbildung als Hotelfachmann. Dann haben uns Krieg und Terror eingeholt. Unsere Familie hat eines Tages beschlossen, dass wir beiden Brüder nach Europa flüchten sollen. Das Geld für die Schlepper reichte einfach nur für zwei. Da unser Bruder damals vor dem Abitur stand, wurden wir auf die Reise geschickt.
Unsere Flucht führte uns über die Türkei und Griechenland durch die Balkanländer. Unser ständiger Begleiter war unsere Zukunftsangst. Die brennendsten Fragen, die uns Tag und Nacht beschäftigten: Kommen wir überhaupt in der Freiheit an und was erwartet uns in einer neuen Heimat?
Auf unserer Flucht hatten wir mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wir hatten oft nichts zu essen oder zu trinken. Unserem Schlepper misstrauten wir in jeder Minute und wir mussten immer ein wachsames Auge haben. Das Schlimmste aber war, als unser Boot, vollbeladen mit Flüchtlingen, kenterte. Wir konnten uns gerade noch retten.
Eine sehr positive Erfahrung während unseres langen Weges war der Zusammenhalt unter uns Flüchtlingen. Das gab uns Mut und Zuversicht, weiterzugehen. Auch bekamen wir immer wieder Hilfe von uns völlig unbekannten Menschen in den Ländern entlang der Route.
Von Deutschland erwarten wir uns, dass wir ein normales Leben führen können – ohne Angst und Bedrohung. Wir wünschen uns, dass wir in die Schule gehen und weiter viel lernen können. Unsere größte Hoffnung ist, dass unsere Familie irgendwann nachkommen kann und uns der Status „Asylberechtigter“ erhalten bleibt.
Unsere größte Angst ist, dass der Krieg in unserem Heimatland weitergeht und unsere Familie bedroht wird. Außerdem fürchten wir uns davor, aus Deutschland wieder weggeschickt zu werden.
Ich, Kassim, wünsche mir zudem, dass es meinem Bruder bald wieder besser geht. Mohammed ist durch die Flucht traumatisiert. Er hat sehr starkes Heimweh, schläft schlecht und ist stark in sich gekehrt. Mein Bruder befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung.
Interview 3
Mein Name ist Ali, und das ist die Geschichte meiner Flucht. Nach meinem Studium an der Universität in Aleppo und meinem Abschluss in Genetik wäre ich eigentlich verpflichtet gewesen, meinen Wehrdienst in der Armee abzuleisten und für das Assad-Regime zu kämpfen und zu töten. Wer sich den Befehlen widersetzt, zu schießen oder schießen zu lassen, wird selber erschossen. Die Situation war extrem kritisch und beängstigend für mich und meine Familie.
Aus großer Sorge um mein Leben schickt mich meine Familie alleine auf den Weg nach Europa. Schweren Herzens musste ich meine Eltern, meine Schwestern, Nichten und Neffen und manche Freunde zurücklassen, wenn sie nicht gerade auch schon irgendwo auf dem Weg nach Europa waren.
Nach meinem Verschwinden aus Aleppo erhielt mein Vater, der ein leitender Beamter der Regierung war, lange Zeit kein Gehalt mehr und unsere Familie wurde bedroht.
Inzwischen liegen große Teile meiner Heimatstadt in Schutt und Asche, auch die historische Altstadt, in der früher meine Familie im Russichen Markt ein Geschäft betrieben hat, wo ich als Kind schon etwas russisch gelernt habe.
Wie die allermeisten Flüchtlinge bin auch ich, wo immer es geht, mit dem Handy und per Whatsap oder Skype im persönlichen Kontakt zu meiner daheimgebliebenen Familie und natürlich auch zu meinen Mitreisenden. Eine Internet-Verbindung ist gleichzeitig die Verbindung zur Familie und zu den Freunden und die einzige Quelle für aktuelle Nachrichten aus der Heimat.
Auf dem Landweg erreichte ich schließlich Istanbul, versucht dann weiter über Bulgarien nach Deutschland zu kommen, wurde dort aber von der Polizei aufgegriffen und wieder in die Türkei zurückgeschickt.
Weil mir dort das Geld ausgegangen ist, habe ich mir mehrere Gelegenheitsjobs gesucht und habe schließlich ein Jahr lang in Istanbul in der Textilindustrie gearbeitet. In dieser Zeit lernte ich auch meine jetzige Frau und ihre ganze Familie kennen, die auch auf der Flucht waren.
Ich wollte und musste dort sehr viel arbeiten, weil die Hochzeit viel Geld gekostet hat und ich auch für die Weiterreise wieder ein finanzielles Polster anschaffen musste. Und diesmal gleich für zwei! Gemeinsam mit meiner angeheirateten Familie, dem Vater, dem Bruder und einem Neffen meiner Frau reisten wir über das türkische Festland bis zu unserer Überfahrt mit dem Schlauchbot zur griechischen Insel Lesbos. Jeder einzelne von uns zahlte 1000 Euro für die fünfstündige Überfahrt. In einem Schlauchbot, das zu 100 Prozent überfüllt war, setzten wir bei starkem Seegang, aber sonnigem Wetter über. Das ins Boot schwappende Wasser wurde mit kleinen Plastikbechern aus dem Boot entfernt. Unsere Rettung: Sonst wären wir sicher gesunken. Übernachtet wurde manchmal im Freien, was nicht so schlimm war, solange das Wetter gut war. Später verbrachten wir dann auch die Nächte in bereitgestellten Zelten.
Mit überteuerten Taxen ging es weiter nach Mytilini der Inselhauptstadt , von wo aus wir mit einer großen Fähre nach Athen gebracht wurden. Über Mazedonien, Serbien und Österreich kamen wir endlich nach Passau, wo schon Reisebusse bereitstanden, die uns nach Nürnberg weiter brachten. Nachdem man sich dort nicht wirklich für uns interessiert hat, beschloss ich, mit seiner angeheirateten Familie gemeinsam mit dem Zug nach München zu fahren. Dort am Bahnhof angekommen, fielen wir beim Kauf einer Simkarte für das Handy den Zollbeamten auf, die uns dann gleich zur Registrierung in ein Erstaufnahmelager brachten.
Über zwei weitere Stationen gelangten wir dann nach Raubling in die Turnhalle des Gymnasiums, mit unzähligen anderen Flüchtlingen, wie im Hühnerstall, wo wir bis zu ihrer Ankunft in Wasserburg am 24. November lebten. Das war eine echte Herausforderung.
Jetzt sind wir in einem Dorf in der Nähe Wasserburgs in einer Wohnung mit insgesamt neun Leuten untergebracht. Es gibt nur ein Badezimmer für alle. Dennoch sind wir dankbar für die Hilfsbereitschaft unseres Vermieters, der uns einmal pro Woche zum Einkaufen zum Aldi fährt. Problematisch ist für uns der fehlende Internetanschluss, den wir bräuchten, um mit dem Rest unserer Familie in Kontakt zu bleiben und online unseren Deutschkurs zu unterstützen.
Ohne Aufenthaltsgenehmigung für mindestens ein Jahr, bekommt man aber leider keinen Vertrag. Meine Genehmigung gilt leider erstmal nur für ein halbes Jahr.
Ich muss mich jetzt umschauen, ob ich mit meinem abgeschlossenen Studium in Deutschland etwas anfangen kann, oder ob ich in Deutschland erneut einen Abschluss machen muss, um hier arbeiten zu dürfen.
Inzwischen ist meine Frau schwanger und wir freuen uns sehr auf unser Baby. Bei Arzt- und Behördengängen sowie praktischen Fragen werden wir vom Wasserburger Helferkreis sehr unterstützt. Wir bräuchten dringend noch Radl, damit wir trotz der sehr schlechten Busverbindung zu den Deutschkursen fahren und den täglichen Einkauf erledigen können.
Am Wochenende waren wir mit der ganzen Wohngemeinschaft auf dem Christkindlmarkt und es gefällt uns wirklich gut in Wasserburg. Da wir Moslems und Sunniten sind, verzichten sie aber dankend auf den Glühwein.
Wenn es für meine berufliche Zukunft notwendig ist, werde ich später vielleicht in eine Universitätsstadt umziehen müssen, wo ich mein Studium in englischer Sprache, die ich perfekt spreche, aufnehmen kann. An meinem Deutsch arbeite ich aber auch schon sehr konsequent und hoffe, mich bald mit den Leuten im Dorf und in der Stadt unterhalten zu können. Über die Fotos von Tamara Crimmann vom Kulturkreis habe ich entdeckt, dass einige Bekannte aus der Turnhalle Raubling auch hier in Wasserburg leben. Sobald ich ein Radl habe, werde ich sie besuchen.
Fotos: Tamara Crimmann. Sie nennt ihre Fotoserie „Auf dem Weg” und versucht, die Flüchtlinge nicht als etwas Fremdes zu zeigen, sondern in den Flüchtlingsportraits das allgemein Menschliche darzustellen. „In den Ängsten, Hoffnungen, Wünschen der Flüchtlinge und in ihren unterschiedlichen Charakteren, ihrer Bescheidenheit, Offenheit, Selbstsicherheit, oder Schutzbedürftigkeit erkennen wir uns selbst mit unseren Gefühlen, Sehnsüchten und unserer Unterschiedlichkeit.” „Auf dem Weg” bezieht sich dabei nicht nur auf das geografische Kommen nach Deutschland, sondern auch auf den langen Weg der Integration in die deutsche Gesellschaft.
Tamara Crimmann ist den Wasserburgern durch ihre Ausstellung beim AK 68 im Jahr 2014 unter dem Titel „Bekannt – unbekannt” ein Begriff.