Die Gesellschaft hat hohe Erwartungen an das neue Schuljahr. Inwieweit sie realistisch sind, klärte der BLLV gestern bei einer Pressekonferen. Unter dem Motto: „Jetzt mal ehrlich – diesen Fragen müssen wir uns alle stellen!”. Die Schulen stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Als Präsidentin Simone Fleischmann vor das Rednerpult tritt, brennt es ihr unter den Fingernägeln: „Was wir erwarten, sind Ehrlichkeit und Transparenz in der öffentlichen Diskussion. Sonst fährt das Bildungssystem im September an die Wand.”
Die Themenliste in der Konferenz gestern war lang:
Digitalisierung, Lehrerbildung, Mittelschule, individuelle Förderung, Bildungsverständnis und Bildungsgerechtigkeit. „Aber das sind eben die Themen, die jetzt die Schulen intensiv herausfordern. Deshalb müssen wir die Problemfelder benennen und können sie nicht einfachheitshalber auf einen prägnanten Punkt zusammenschmelzen, denn das ist einfach nicht die Realität der Schulen”, stellt die Präsidentin gleich zu Beginn klar.
Simone Fleischmann sagt, sie habe schon häufig gehört: „Jetzt’s gebt’s halt mal ein bisschen Gas bis September!” Sie gibt aber zu bedenken, dass Schulen nicht auf Knopfdruck das ändern können, was die Politik beispielsweise in der Digitalisierung über Jahre verschlafen habe – und dass sie nicht plötzlich in den Sommerferien eine professionelle Verzahnung von Distanz- und Präsenzunterricht für das neue Schuljahr auf die Beine stellen könne. Professionelles Change-Management brauche Zeit, so Fleischmann.
Lehrkräfte wollen ihre Schülerinnen und Schüler auf das Leben von morgen vorbereiten – und eben nicht mehr nur mit Overhead-Projektoren hantieren. Das bestätigt auch die aktuelle BLLV-Umfrage Schule und Corona 2020, für die Lehrkräfte und Schulleitungen in Bayern angeschrieben wurden:
Über 60 Prozent der Befragten sagen, dass die digitale Kommunikation mit Schülern, Kollegen und Eltern auch nach Corona weiter ausgebaut und systematisiert werden müsse. Für über 80 Prozent muss auch der Einsatz digitaler Medien weiter ausgebaut und zu einem festen Bestandteil von Unterricht werden.
Ministerpräsident Markus Söder habe aus der Sicht von BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann auf seiner Pressekonferenz am 16. Juni ganz richtig festgestellt: Die Kommunen müssen die Gelder abrufen, außerdem ist eine System-Administration durch IT-Fachkräfte notwendig, die virtuelle Lernwelt darf keine Notfall-Unterrichtsmethode bleiben.
Fleischmann fordert: Jetzt müssen Taten folgen! Die Aufnahme des Distanzunterrichts in die Schulordnung und die Ausstattung von Schülern mit digitalen Endgeräten unterstütze der BLLV.
Gerd Nitschke, 1. Vizepräsident des BLLV, berichtete, dass der Wegfall des Numerus Clausus für das Grundschullehramt die Universitäten überlaste. Außerdem habe die Maßnahme dazu geführt, dass nun Studenten aus dem Mittelschul-Lehramt in Richtung Grundschule wechseln. Das wiederum verstärke den ohnehin schon gravierenden Lehrermangel an den Mittelschulen.
Zwei Maßnahmen könnten hier aber Abhilfe leisten: Eine spätere Entscheidung für die jeweilige Schulart, wie es das BLLV-Modell der flexiblen Lehrerbildung vorsehe und mehr Geld! Attraktive Arbeitsbedingungen wie etwa A13 als Eingangsbesoldung auch für Grund- und Mittelschullehrkräfte wären angebracht, so der BLLV.
Drei Viertel der Befragten mit Informationspolitik des bayerischen Kultusministeriums nicht zufrieden
Als engagierter Schulleiter einer Mittelschule weiß Tomi Neckov, 2. Vizepräsident des BLLV, aus eigener Erfahrung, unter welchem Druck Schulleiter in den vergangenen Monaten standen. Er ärgert sich darüber, dass er für sich und seine Schule wichtige Informationen aus Pressekonferenzen erfuhr, die er am Fernseher verfolgte.
Die offiziellen Schreiben des Kultusministeriums trudelten erst Tage später ein. Dafür waren es eine ganze Menge: Über 100 Schreiben, insgesamt 1000 Seiten, die Neckov durchzuackern und an seiner Schule oft kurzfristig umzusetzen hatte.
In der aktuellen BLLV-Umfrage stimmen ihm seine Kollegen zu: Drei Viertel der Befragten sind mit der Informationspolitik des Kultusministeriums nicht zufrieden. Über 90 Prozent der Schulleiterinnen und Schulleiter bewerten die kultusministeriellen Schreiben als zu viele.
Neckov appellierte an die Eigenverantwortung. Arbeits- und Gesundheits-Schutzmaßnahmen müssten Grundlage aller Entscheidungen sein. Testungen – auf freiwilliger Basis – für alle Lehrerinnen und Lehrer seien wichtig. Dabei halte er lokale und dezentrale Schulöffnungen woe aich -schließungen für den richtigen Weg.
Die Corona-Krise habe zur Folge, dass Schulkinder auf extrem unterschiedlichen Lernniveaus unterwegs seien, so der BLLV.
Individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern müsste an Schulen jetzt Vorrang haben. Leider würden die Experten dafür, die Förderlehrkräfte, missbraucht, um den Lehrermangel abzumildern, weil die mobile Reserve fehle, so Gerd Nitschke. Die BLLV-Förderlehrkräfte-Umfrage 2020 zeige: Fast alle Förderlehrkräfte leisten mindestens acht oder gar mehr Stunden eigenverantwortlichen Unterricht (90%). Bei einem Teil davon liege der Anteil zwischen elf und 14 Stunden (14,7%) oder sogar höher als 14 Stunden pro Woche (8,9%).
Chance für einen neuen Lern- und Leistungsbegriff
Corona habe am althergebrachten Bildungsverständnis gerüttelt, konstatiert Simone Fleischmann. Als der Kultusminister coronabedingtes Sitzenbleiben ausgeschlossen hat, sei allgemein hinterfragt worden, was Schule eigentlich leisten solle. Kinder, die eigenverantwortlich lernen können, seien gut durch die Pandemie gekommen, ist Fleischmann überzeugt.
In der BLLV-Umfrage geben 97 Prozent der Befragten aber an, dass das digitale Kommunizieren mit Schülerinnen und Schülern während der Corona-Zeit die persönliche Beziehung nicht ersetzen konnte.
Es ist also allen klar: Die Basis des Lernens ist die Beziehung und das Ziel ist nicht das Sortieren von Schülern, sondern Kompetenz-Erwerb.
Modernes Lernen, das Schülerinnen und Schüler wirklich fit macht fürs Leben und sie befähigt, selbstständig auch durch Krisenzeiten zu kommen, das geht nur auf der Grundlage eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses, durch Lernen mit Herz. Kopf. Hand.
Fleischmann sehe deshalb jetzt die Chance, einen neuen Lern- und Leistungsbegriff zu etablieren und verständisintensives Lernen voranzubringen.
Immer weniger Bildungsgerechtigkeit
Schulschließungen während der Corona-Pandemie trafen insbesondere die Kinder hart, die ohnehin schon mit schwierigen Verhältnissen zu kämpfen haben. Die Schere der Bildungsungerechtigkeit hat sich immer weiter geöffnet.
Das spürt auch der 2. Vizepräsident des BLLV, Tomi Neckov. In seiner Arbeit als Schulleiter berichtet er von Kindern, die komplett abgetaucht waren. Auch Kontaktversuche seitens der Lehrkräfte und des Jugendamtes schlugen fehl.
Um gut durch die Corona-Krise zu kommen, fordert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann deshalb eine 110-prozentige Lehrerversorgung und seitens der Staatregierung absolute Transparenz, wieviele Lehrkräfte nun tatsächlich fehlen.
„Klar wollen wir helfen, unsere Schülerinnen und Schüler so gut wie nur möglich durch diese Krise zu bringen”, betont sie. „Aber wir können auch nur so viel geben, wie wir sind.”
Eine Offenlegung der Zahlen durch die Staatsregierung würde deutlich machen, dass Lehrerinnen und Lehrer mit einem hohen Einsatz gegen den Personalmangel anarbeiten, für den sie öffentliche Wertschätzung verdienen.
Quelle BLLV
Foto: BLLV
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